Pro und Contra zur Wohnbebauung am Niegripper See
Einwohner wollen See nicht hergeben
Quelle: (Volksstimme, Burger Rundschau, Freitag, 4. September 2020)
In Niegripp brodelt es. Der Vorwurf von Einwohnern: Immer mehr Filetstücke am See würden der öffentlichen Nutzung entzogen.
Von Mario Kraus ›
Burg/Niegripp l Mit diesen Reaktionen hatte Ulrich Meier nicht im Traum gerechnet. In einem Leserbrief hatte er seinen Gedanken über die Zukunft Niegripps nach dem Verkauf von lukrativen Grundstücken am Wasser freien Lauf gelassen. „Es musste mal raus“, sagt der Familienvater. Die Reaktionen seien seitdem enorm, der Zuspruch durch Telefonate oder Gespräche eine Art Ventil für zahlreiche Einwohner. Die vorsichtige Kritik, die bereits Mitglieder der Bürgerinitiativen Detershagener Weg und Feldstraße in der Volksstimme geäußert haben, wird jetzt laut – und trifft den Ortschaftsrat genauso wie den Burger Stadtrat, der die Bebauungspläne für Niegripp auf den Weg gebracht hatte, mit großer Wucht. Dreh- und Angelpunkt für die Einwohner ist die Frage, wie viel See den Niegrippern und Touristen künftig überhaupt noch bleiben wird? „Müssen wir noch die letzten Filetstücke verkaufen?“, fragte Meier am Mittwochabend den Ortschaftsrat.
Fakt ist: In dem Elbdorf werden sich die Bagger über kurz oder lang emsig drehen. Südlich des Detershagener Weges und südlich der Feldstraße, um weitere Wohngebiete zu erschließen. In letzterem Areal handelt es sich größtenteils um Grundstücke mit Wasserzugang, am Detershagener Weg ist der See vor der Tür. Der dortige Wall wird mit behördlicher Genehmigung abgetragen. „Der Sprung zum Wasser ist dann nicht mehr weit. Wer den See vor der Tür hat, will auch die letzten Meter haben“, gibt Meier zu bedenken. Und: Sei das Areal erst einmal bewohnt, hätte der Ortsrat bald die ersten Beschwerden über Ruhestörung auf den Tisch, weil der öffentliche Strandbereich nur einen Katzensprung entfernt ist.
Das Fass zum Überlaufen bringen allerdings Pläne für ein Café oder eine größere gastronomische Einrichtung im Strandbereich. Dadurch würde noch weniger öffentliche Fläche zur Verfügung stehen. „Das pfeifen schon die Spatzen von den Dächern“, so Meier.
Offener Brief an Ortschaftsrat
Konkrete Pläne bestreitet Ortsbürgermeister Karl-Heinz Summa vehement. „Es handelt sich um möglicherweise Gedanken und Visionen, aber nichts davon ist konkret oder gar beschlossen. Auch hier im Ortschaftsrat ist das noch nicht einmal zur Sprache gekommen. Wir bringen nichts Derartiges auf den Weg.“ Summa und auch Ulf Möbius (SPD) versicherten auf Nachfragen, dass es keine Bestrebungen gebe, den öffentlichen Bereich am See zu dezimieren. „Ist doch klar, dass der bleiben muss“, sagte Möbius.
Für Sascha Schmidt, ebenfalls Einwohner von Niegripp, ist das Areal für Einheimische und Touristen ohnehin schon klein genug. Er sieht „schwere Fehler“ in der Vergangenheit, indem zu viele Bereiche am See „aus Sicht der Gewinnmaximierung verscherbelt wurden“. In einem Brief an den Ortschaftsrat, der Mittwochabend übergeben wurde, schreibt er: „Eine Gesamtstrategie zur nachhaltigen wirtschaftlichen Förderung und sozialen Gestaltung der Gemeinde (…) ist nicht erkennbar.“ Er sieht sogar Parallelen zum Starnberger See. „Nur ist es dort so, dass die politisch Verantwortlichen inzwischen versuchen, die verkauften Grundstücke wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“ Schmidt bemängelt, dass mit der Ausweisung von Wohngebieten soziale Aspekte wie Wasserzugang, Bade- und Anlegestellen oder Toiletten außer Acht gelassen wurden.
Fehler im aktuellen Bauverfahren sieht Bauausschussvorsitzender Clemens Engel (CDU) nicht. „Wir haben uns intensiv damit beschäftigt, die Beschlüsse beraten und auf mögliche Folgen und Probleme hingewiesen. Wir entsprechen in unseren Beratungen aber im Wesentlichen immer den Wünschen und Forderungen des jeweiligen Ortschaftsrates. Dessen Mitglieder sollten am besten wissen, was gut für das Dorf ist und mit den Leuten reden. Dass die Stimmung jetzt in Niegripp kippt, überrascht mich nicht.“ In Zukunft, so Engel, müsse sich der Ausschuss eben noch konkreter mit den entsprechenden Belangen vor Ort auseinander setzen.
Niegripp ist seit Jahren ein begehrter Wohnort. Dorfchef Summa verzeichnet nahezu wöchentlich Nachfragen nach Bauplätzen. Durch Elbvorland, Kanal und See können allerdings nicht unbegrenzt Flächen bereitgestellt werden. Nach vielen Vorgesprächen in der Stadtverwaltung wurden vor etwa drei Jahren erste planerische Anstrengungen unternommen, um Flächen für den Häuserbau erschließen zu können.
Volksstimme, Burger Rundschau, Mittwoch, 9. September 2020